Quinta edizione 2009 • segnalato seconda categoria

Postskriptum (Post Scriptum)

Evelin Juen

Evelin Juen

Mag.phil. Evelin Juen. Geboren 1964, lebt in Imst in Tirol. Studium der Kunstgeschichte und Archäologie. Autorin (Prosa/Lyrik) und Journalistin (Reise/Kunst/Kultur). Arbeitet auch als Texterin, Komponistin, Sängerin, sowie in der bildenden Kunst. Zahlreiche Reisen und Auslandsaufenthalte. ich will nicht karge sätze kühl nebeneinander stellen bis sie erfrieren im eigenen winter. will nicht ihre eisigen leiber berühren die glatt und ohne scham sich gefühllos zeigen am ende. nicht reduzieren und selbst beschneiden. kein kontrolliertes klares computervokabular minimum. ich will worte farbig sehen will sie auskosten ohne grenzen. begrüssen als freunde die mir kostbar sind. ihrer schönheit bilder formen ihrem klang raum geben. mich von ihnen tragen lassen damit ich nicht verstumme.

Nata nel 1964, vive a Imst in Tirolo. Laurea in Storia dell’arte e Archeologia. Autrice (prosa/poesia) e giornalista (viaggi/arte/cultura). Lavora anche come redattrice, compositrice, cantante e nelle belle arti. Numerosi viaggi e soggiorni all’estero. non voglio giustapporre scarne frasi freddamente fino a farle congelare nel proprio inverno. né voglio toccarne i gelidi corpi che lisci e senza pudore alla fine si mostrano insensibili. non ridurre e autopotarsi. nessun lessico minimum da computer chiaro controllato. voglio vederle a colori le parole assaporarle senza frontiere. salutarle come amici preziosi. plasmare immagini della loro bellezza dare spazio al loro suono. farmi trasportare da loro per non ammutolire.

IL RACCONTO

14. April

Lieber Moses,

ich sitze am Meer und das Salz baut Nester in meinen Haaren. Kannst du dir vorstellen, welche Mühe es mir macht, die hundert Meter vom Haus hierher zu bewältigen? Verzeih, du kennst mich, Geduld war nie meine Stärke. Ich will mich nicht beschweren. Im Gegenteil. Eine fremdartige Zufriedenheit hat mich erfüllt. Langsam und still, zart wie der Duft von weißen Rosen.

Heute türmen sich die Wolken schon seit dem Morgen zu bedrohlichen Gebilden auf, wankend und schwankend, unentschlossen. Drücken die Luft auf die Erde nieder und das Meer ist ein lauerndes Tier. Wir ducken uns gemeinsam, warten auf das Anhalten der Zeit. Auge in Auge, der warme Sand baut Bahren für meine Arme und Beine.
Du wirst bemerkt haben, dass meine Schrift sich immer mehr in kalligraphische Zeichen verwandelt, aber ich weiß, du kannst es trotzdem lesen. Darum schreibe ich dir, schiebe langsam, Buchstabe für Buchstabe meine Hand weiter, konzentriere mich darauf, dass du sowieso verstehst.

Gestern, als der Mond sanfte Streifen auf meine Bettdecke zeichnete, habe ich darüber nachgedacht, was ich dir alles sagen möchte, weil jeder Satz eine Hürde ist und nicht verschwendet werden soll. Nun, es ist nicht leicht, die Worte mit Bedacht zu wählen. Was ist wert, hingekratzt zu werden. Damit tu ich mir schwer, schwerer noch, als mit dem Halten des Stiftes.

Wahrscheinlich ist es bald soweit. Die Tropfen werden Krater in den Strand sprengen, immer mehr, dichte Schleier auf mich legen und mich sekundenschnell umarmen. Bis ich es dann spüre, irgendwo auf meinem tönernen Körper, die Feuchtigkeit, das Leben.

Man kann den Regen schon riechen, wie er sich heranschleicht im dunkelblauen Mantel.
So viele Bilder in meinem Kopf. Ich springe über den Zaun, hoch darüber hinweg, mit weit gespreizten Beinen, ein fliegendes Fohlen mit wehender Mähne.
Schon damals konnte ich mich am längsten im Kreis drehen. Unermüdlich, die Augen auf den blauen Sommerhimmel gerichtet, ohne schwindlig zu werden, reihum sind die anderen kichernd umgefallen.

Später, als das Leben viele klitzekleine und riesengroße Hürden gebaut hat, sich plötzlich drehte und wendete, ein unaufhörliches Kreisen, ist das Kind immer noch Kind, in den Kleidern des Alters. Immer mühsamer springen, immer weniger neugierig, hinter den Wällen liegt kein Wunderland mehr.
Unerwartet, nie darauf vorbereitet, ein Kind mit Falten und klapprigen Gliedmaßen zu werden.
Plötzlich haben sie angefangen zu eilen, die Jahre und die Sommer, und schon wieder entwischt.
Du verstehst wovon ich spreche Moses, aber weißt du was? Die letzten Drehungen, im Tanz mit den Elementen, bringen mir den Frieden zurück. Es ist die Unendlichkeit der Momente, die mich gerettet hat. Jeden einzelnen davon habe ich festgehalten, ausgetrunken und die Zeit hat sich gedehnt unter meiner Liebkosung.

Das Land wellt sich unter den heranrollenden Wogen, Körnchen für Körnchen abgetragen, aufgebaut.
Gerade spaziert die Tochter des Metzgers vorbei und wirft bei jedem Schritt übermütig den goldfarbenen Sand in die Höhe.
Sie ist oft hier, genau wie ich, das verbindet uns. Ab und zu hilft sie mir, stützt mich auf dem Weg nachhause. Sie winkt mir zu und ich brauche nur zu nicken.

Ich war hübsch früher, kannst du dich erinnern? Natürlich erinnerst du dich.
Ich bin immer noch hübsch, ob du es glaubst oder nicht. Auf die eine oder andere Art geschrumpelt, aber nicht ohne Reiz. Die hohen Wangenknochen sind noch höher und wenn ich die Schallplatten von früher auflege, bekommen meine Augen einen strahlenden Glanz.

Ich habe in alten Photographien gekramt, auch zu ordnen versucht. Welche Chronologie der Seele! Aus der Zeit in Italien habe ich nur wenige Aufnahmen. Du bist sicher auch noch schön.
Bin dank Schweinchenmörders Tochter heim gekommen, schreibe nun in der Behaglichkeit meines Refugiums weiter. Kaum war sie bei der Tür draußen, hat sie der heftig einsetzende Regen verschlungen.
Bevor sie ging, konnte sie sich nicht verkneifen, mich zu ermahnen, mit einem Blick, den Eltern aufsetzen, wenn sie zu ihren Kindern sagen: "Geht nicht zu weit auf die Klippen hinaus!" Vielleicht hat sie ja recht, was meinst du?
Ich sehe, dass du den Kopf schüttelst – ha, mein trotziger Held – du bist auf meiner Seite, immer schon gewesen. Und was bedeutet uns noch die Vernunft?
Auch darüber bin ich glücklich. Das Glück schmeckt wie der süße Honigwein meiner Mutter, es schmeckt nach Menschen, Ländern und Erinnerungen meines Lebens.
Den Augenblick gefunden. Auch danach schmeckt das Glück.

Die Uhren meines Hauses gehen so langsam, dass ich glaube, dass sie bald stehen bleiben werden. Ich muss jemanden bitten, sie wieder aufzuziehen. Dem Kuckuck habe ich frei gegeben. Er schreit sich schon seit den Tagen meiner Großmutter die Kehle aus dem Leib, nun, kann er endlich in seinem Schwarzwaldhäuschen bleiben, und so wie ich, in die Stille horchen.
Die Versuchung Leben ist groß, glaub mir, nach wie vor, nicht ein bisschen weniger. Aber die Möglichkeiten haben sich reduziert auf ein Minimum; mein Spielraum hat sich eingeengt. Darüber müsste ich traurig sein, bin es aber nicht.
Das wird dich bestimmt freuen.

Die Richtung des Windes hatte gewechselt, damals auf dem Boot, wir konnten nichts dagegen tun. Nur wir zwei und was geschehen ist, ist geschehen, war natürlich im Lauf der Dinge, und natürlich wie meine Hilflosigkeit jetzt.
Ich falle mit den Blättern vom Baum. Hoffe darauf, dass der Wind mich noch einmal aufwirbelt, hochhebt und tanzen lässt, in der lauen Nachmittagssonne eines Herbstgartens.

Mein romantisches, immer noch starkes Herz, es hilft mir. Hält alles in mir am Fließen, Panta Rhei.

Draußen laufen die letzten Tropfen um die Wette, die Erde dampft. Es war eine kurze, schnelle Vereinigung. Stark genug, um die Saat aufgehen zu lassen, die in den Beeten wartet.

15. April

Die Bücher, die du mir geschickt hast, – danke dir nochmals dafür – stapeln sich neben meinem Schaukelstuhl. Solange ich noch darin sitzen konnte, besser gesagt, wieder davon aufstehen konnte, habe ich dort, zwischen den Zeilen, die Schmerzen vergessen. Wunderschöne, wundersame Geschichten.
Ich habe Freunde gewonnen, auf der Wanderschaft durch das Blätterwerk der Phantasie, das du für mich ausgesucht hast.

Dir gegenüber kann ich zugeben, dass die schubartig auftretenden Schmerzen, es mir nicht immer einfach machen, meine Würde zu behalten.
Nichts ist wichtig und alles ist wichtig, in dieser Zeit des silbergrauen Haares.
Es ist jetzt kurz geschnitten, ab, der lange Zopf aus Mondlichtern. Seit Beginn der Krankheit hat sich viel verändert. Aber ich bin zu alt, um nicht zu merken, dass es einen Sinn ergibt, auch wenn das alles ist, was ich verstehe.

Meine Gedanken kreisen mit den Planeten des Universums. Immer öfter, schaue ich auf die Welt herab, treibe im Sternenhimmel meinen Schabernack und lande dann verwirrt im Jetzt. Das sind die Medikamente, glaubt der Arzt. Wie wenig er doch weiß, aber er ist ein guter Mann, ich vertraue ihm.

Ich weiß, dass du mich auch geliebt hast.
Wir wussten es beide, seit dem Sommer, seit dem Tag, seit dem Boot. Unsichtbare Fäden haben unsere Münder zugenäht danach, du zu den deinen, ich zu den meinen zurück.

Nun ist es also niedergeschrieben. Tut mir leid, wenn ich dir zu nahe gekommen bin. Ich sehe wie du etwas zurückweichst, ein paar Millimeter weiter weg von meinen Hieroglyphen, habe ich recht?
Deine Stirn legt sich in Falten. Warum jetzt darüber reden, warum jetzt in Worte fassen, was so gut getarnt war, unser ganzes Leben lang. Ich habe keine Scheu mehr. Will die Gelegenheit nutzen. Ich bin der Wahrheit auf der Spur. Weißt du, ganz nahe bin ich schon, und ich räume Schritt für Schritt die Mauern aus meinem Leben. Ich musste eine Pause machen, mich ein bisschen niederlegen, die flatternden Atemzüge beruhigen. Jetzt bin ich wieder am Tisch. Er steht in der Mitte des Raumes. Beim Umzug hierher, haben die Möbelpacker ihm schlimme Wunden geschlagen, die herrlich gedrechselten Beine tragen nun breite Kerben. Von hier aus, sehe ich durchs Fenster den bizarren, schwarzen Felsen. Ein zu Stein gewordener, gestrandeter Wal, einst aus dem Schlund des Innersten gespuckt, zischend erstarrt.

Mira und ich, wir mögen ihn sehr.

16. April

Die Nacht hat sich lang ausgestreckt, ich bin darin herumgeirrt, habe versucht, dem Zirpen der Zikaden zu folgen, bis ein unruhiger Schlaf sich meiner erbarmte.
Dann, plötzlich, bin ich aufgewacht und wollte aufstehen, einfach so, als wäre es nicht die Zeit nach der Zeit. Die Beine sind unter mir weggesackt, bald wird nichts mehr von meinen Muskeln übrig sein.

Die schweren Stunden, trage ich mit besonderer Hingabe, ich bin leidensfähig geworden. Endlich stark genug, um das Schwachsein zu akzeptieren.
An solchen Tagen kommt Mira dann mit ihrer Geige zu Besuch, den ganzen langen Weg hierher. Sie scheint zu spüren, wenn ich mich nach ihr sehne.

Sie lebt immer noch allein. Oft habe ich das Gefühl, sie ist einsam. Aber sie lächelt nur und sagt: "Liebes, mach dir keine Sorgen".
Mira spielt wie ein Engel, weißt du. Manchmal, wie ein wütender Racheengel, dann wieder, erzählen ihre Melodien Geschichten, so süß wie das Paradies.

Ich bin sehr dankbar, dass es sie gibt.

17. April

Meine Finger sind heute so geschwollen, dass ich sie fast nicht mehr abbiegen kann. Zuviel geschrieben. Ich muss zu einem Entschluss kommen.
Die Sonne brennt vom Himmel, ich will zum Strand kriechen, mich in den Sand legen und die Freiheit riechen.

In Liebe
Franziska

P.S. Ich kann nicht darum herum. Ich bitte dich zu kommen, bevor ich gehe. Um mir zu helfen, die letzten Grenzen zu überschreiten. Damit wir alle frei atmen können. Mira ist deine Tochter.