Quinta edizione 2009 • terzo classificato seconda categoria

Kuchen mit Sahne

Claudia Cappello

Claudia Cappello

Claudia Cappello ist 1973 in Bozen geboren und in Meran aufgewachsen, sie lebt heute mit ihrem Mann und den drei Kindern in Bozen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck entschied sie sich bewusst für den schönsten Beruf der Welt, das Muttersein. Dieser Beruf bietet ihr interessante Freiräume und die nötige Inspiration für das Schreiben. Am Literaturwettbewerb „Frontiere-Grenzen“ hat sie heuer zum zweiten Mal teilgenommen, erstmalig 2005 mit der Erzählung „Der Zug“.

LE MOTIVAZIONI DELLA GIURIA

"Kuchen mit Sahne" ist die Geschichte eines Paares. Eines Frauenpaares. Nach einem schweren Unfall bleibt eine der beiden behindert, gelähmt und ohne die Fähigkeit zu reden. Die andere nimmt sie zu sich mit nach Hause, um sich um sie zu kümmern. Es ist schwer, den Lebenszustand eines geliebten Menschen auszuhalten, der nie mehr wie früher sein wird. Eine sensible Erzählung über die Schwierigkeit und die Mühsamkeit weiterzulieben, wenn einer der Partner nicht mehr imstand ist, zu antworten, zu reagieren, zu reden. Eine Erzählung über Gefühle und die Kommunikation zwischen Menschen unter extremen und leidvollen Umständen.

IL RACCONTO

Es ist nunmehr einige Zeit vergangen seit damals. Um genau zu sein sind etwas über drei Jahre seit jenem Ausflug, unserem letzten gemeinsamen Ausflug, verstrichen. Mir kommt diese Zeit eigentlich viel länger vor. Das rührt wahrscheinlich daher, dass meine Wahrnehmung gegenüber der Welt um mich herum abgestumpft ist. Ich lebe umgeben von Nebel; mir fehlt im Alltag Abwechslung und Unberechenbares. Jeden Tag stehe ich um sechs Uhr auf, hüpfe schnell unter die Dusche, um selbst richtig aufzuwachen, bereite dann das Frühstück vor, wecke dich sanft, wasche dich und plaudere nebenher dir die Ohren voll bis ich zur Arbeit muss, ins Postamt, wo ich Briefe sortiere und austeile bis um ein Uhr. Manchmal bin ich auch etwas eher fertig. Ist das der Fall, nütze ich die gewonnene Zeit zum Einkaufen. Dann beeile ich mich nach Hause zu gehen, zu dir, und Frau Rasman abzulösen.

Ich bin wirklich froh, dass Frau Rasman mir bei der Pflege hilft. Sie ist die Mutter von einer jungen Ordensschwester, die ich im Krankenhaus kennen gelernt habe. Frau Rasman kümmert sich um dich, während ich bei der Arbeit bin und auch sonst ist sie immer zur Stelle, wenn wir sie brauchen. Sie hat den Zweitschlüssel unserer Wohnung, den, den du früher immer verwendet hast, und manchmal, wenn sie gerade in der Gegend zu tun hat, schaut sie einfach mal kurz vorbei.

Sie hat mir alles beigebracht: die Nahrungszubereitung und Verabreichung durch die Sonde, das Reinigen der Kanüle, das Absaugen des Schleims aus Nase und Mund, sowie das regelmäßige Überprüfen von Puls und Blutdruck. Sie hat mir gezeigt, wie ich dich beim Waschen anfassen kann ohne dir weh zu tun.
Zu Beginn war das ein merkwürdiges Gefühl, dich so beinahe leblos in meinen Armen zu halten. Ich war überrascht, dass so ein zierlicher Körper so schwer sein kann. Mit der Zeit genoss ich es, mit dem feuchten Schwamm um deinen Hals und den Rücken entlang zu wischen, und es brachte mich ein wenig in Verlegenheit, in den Achselhöhlen deinen Haarflaum zu entdecken. Du hast immer penibel genau auf die Körperpflege geachtet. Dazu gehörte auch das regelmäßige Entfernen überflüssiger oder unschöner Härchen mit warmem Wachs.
Ich habe noch bildlich vor Augen, wie kitzlig du an dieser Stelle warst. Man brauchte nur anzudeuten, dich hier anfassen zu wollen und schon hast du gejauchzt und bist davongesprungen. Ein anderer Ort, an dem du nicht gerne berührt werden wolltest, war dein Bauchnabel. Er steht etwas hervor und du empfandest ihn als sehr hässlich, ein Makel, den man verstecken musste. Aus diesem Grund hast du nie die bauchfreie Mode und Bikinis getragen.
Wenn du wüsstest, wie eklig die Andockstelle, so nenne ich sie immer, der Nahrungssonde aussieht, und dann die Narben am Kopf, du wärst entsetzt was die Ärzte mit deinem schönen Körper gemacht haben, damals, nach dem Ausflug.
Erinnerst du dich noch an den Anlass für unseren Ausflug? Du wolltest unbedingt echte Schweizer Schokolade. Du warst eine unmögliche Naschkatze. Auf dein Stück Sachertorte musste unbedingt immer noch ein extra Nachschlag Sahne darauf und während ich schon beim bloßen Anblick dieser Köstlichkeiten an Gewicht zunahm, hast du meine neidischen Blicke noch zusätzlich bestraft, indem du mir vorgeführt hast, wie du mit deinen beiden Zeigefingern und Daumen problemlos deine Taille umspannen konntest.
Auch an jenem Morgen hast du mich wegen meiner etwas pummeligen Figur aufgezogen; du meintest du müsstest unbedingt vorne auf dem Motorrad sitzen und fahren, denn wenn du hinter mir säßest, würde ich dir mit meinem fetten Hintern die Sicht auf die schöne Landschaft verdecken.
Es war ein herrlicher Tag, fürs Motorradfahren wie geschaffen, klare Sicht und nicht zu kalt und nicht zu warm. Aufs Geratewohl sind wir losgestartet, die ungefähre Himmelsrichtung war unser Navigator. Meine Oma hatte uns ein Lunchpaket geschnürt, und als sie von unserem Vorhaben, Schweizer Schokolade zu kaufen, erfuhr, steckte sie mir ein paar Franken zu.
Und so ging es los, Richtung Norden, im großen Bogen um jede Autobahn, denn wir liebten die einfachen Landstraßen, in der festen Überzeugung, dass uns am Ende des Vinschgaus die Grenze zur Schweiz erwartete.

Wir waren schon etwas überrascht, dass uns an der Grenze kein Beamter empfing. Am Kiosk auf der anderen Seite hast du dich noch darüber gewundert, dass der Verkäufer so gut unsere Sprache beherrscht, siehe da, der spricht ja fast so wie wir, hast du gesagt. Als ich dann die Schoki mit Omas Schweizer Franken bezahlen wollte, ärgerte sich der Verkäufer furchtbar, pflanzen ließe er sich von uns Gören nicht, und mir ging langsam ein Lichtlein auf: wir waren in Österreich und nicht in der Schweiz.
Wir sind uns in die Arme gefallen und konnten gar nicht mehr aufhören zu lachen. Manchmal habe ich Angst, dass ich eines Tages dein Lachen vergessen könnte, wie es klang, und wie deine Brüste dabei lustig wackelten. Beim Verkäufer am Kiosk haben wir uns noch artig für unser Benehmen entschuldigt. Dieser schüttelte bloß den Kopf, so was habe er noch nie erlebt, Österreich für die Schweiz zu halten. Der Verkäufer meinte noch, bis zur richtigen Schweiz sei es nicht mehr weit und deutete uns die Richtung, im festen Glauben, damit eine wichtige Kulturlücke in uns geschlossen zu haben.
Uns war die Schweiz schon nicht mehr wichtig, gerne nahmen wir mit österreichischer Schokolade vorlieb, diese hatte schließlich auch einen sehr guten Ruf, vergaßen auch nicht eine Tafel für meine Oma verpacken zu lassen, und machten uns langsam wieder auf den Heimweg.
Diesmal fuhr ich. Nachdem du uns ans falsche Ziel gebracht hattest, konntest du es dir nicht erlauben, groß dagegen zu protestieren. Du sahst immer so verletzlich aus, wenn du einen Fehler gemacht hast. Ich liebte diesen Blick. Es gab kaum Augenblicke in unserem gemeinsamen Leben, in denen ich stärker empfand, als in diesen wenigen, in denen du dich angeschossen fühltest, ein junges verletztes Reh, das man gerne in die Arme nimmt, um es zu trösten und streicheln.
Es waren diese Bilder, die mir in den Kopf umherschwirrten, schöne Bilder, während wir auf dem Motorrad die Rückreise antraten. Die Sonne schien schon etwas tiefer. Ruhig war es. Eine harmonische Landschaft zog an uns vorbei. Ich stellte mir vor, wie wir nebeneinander auf einer Wiese liegen würden, beide auf den Rücken, unsere Hände würden sich suchen, unsere Finger würden sich finden. Mir wurde ganz warm ums Herz bei diesen Gedanken. Wir würden in den Himmel sehen und die vorbeiziehenden Wolken betrachten. Du würdest, mit viel Fantasie, eine rattenförmige Wolke entdecken. Ratten waren deine Lieblingstiere. Du hattest eine schwarz-weiß gefleckte, die du überall mitgenommen hast, außer zu unseren Motorradfahrten. Ich war oft eifersüchtig auf sie, wie töricht von mir.
Inzwischen ist sie gestorben. Sie war schon damals nicht mehr ganz jung. Ich könnte eine Wolke in Form eines Herzens entdecken, das Symbol unserer Liebe.

Doch plötzlich war die Sonne da. Die Sonne, sie blendete mich, ich konnte nichts mehr sehen, und schon krachte es, der Aufprall auf den Anhänger eines einbiegenden Traktors.
Dich hat es vom Motorrad geschleudert. Der Helm flog einfach von deinem Kopf. Du mochtest dieses Ding noch nie, schlampig aufgesetzt vermochte es deinen Kopf nicht zu schützen. Schwerste Kopfverletzungen, Fraktur zweier zentraler Wirbel. Ich weiß noch, wie inständig ich zu Gott gebetet habe, ich weiß noch, wie ich mich mit Selbstmordgedanken von den quälenden Schuldgefühlen versucht habe abzulenken. Ich habe geweint, bis irgendwann nur noch ein tränenloses Stöhnen aus mir herauskam und ich erschöpft in einen komaartigen Schlaf fiel.
Meine Verletzungen heilten und ich fühlte mich dazu verpflichtet, mich um dich zu kümmern. Ich nahm dich mit nach Hause. Doch war nicht nur das schlechte Gewissen der Antrieb dafür, nein, es gefiel mir der Gedanke, nun endlich die Stärkere in unserer Beziehung zu sein. Du warst auf einmal völlig von mir abhängig. Du warst früher in Allem immer so perfekt. Ich habe dich manchmal dafür nicht leiden können.
Zuallererst habe ich dir deine langen, glatten Haare geschnitten, die Haare, die ich immer gerne gehabt hätte, mit der offiziellen Begründung, dass sie so viel leichter zu pflegen wären. Schon beim ersten Scherenschnitt habe ich deinen verachtenden Blick gespürt, trotzdem habe ich weiter gemacht und du hast mich gehasst dafür.

Wenn du dich wohl fühlst, schnurrst du leise, wie eine Katze. Immer wenn ich dieses zufriedene Schnurren höre, lege ich meinen Kopf leicht auf deine Brust, um zu lauschen. Ich kann dann unter dem Nachthemd deine Brunstwarzen an meiner Wange spüren. Ich denke an Kirschen. Und ich sehne mich nach dir. Ich sehne mich so sehr nach dir, dass ich das Gefühl habe, gleich zu explodieren. Es kommt oft vor, dass ich morgens aufwache, nackt neben dir liegend.

Als ich gestern die Augen öffnete, stand Frau Rasman vor mir und sah mich entgeistert an. In ihrer Hand hielt sie einen Teller, zittrig. Sofort sprang ich aus dem Bett, deckte dich mit der leichten Decke zu und warf mir den Bademantel über. Schweigend und mit gesenktem Kopf ging ich in die Küche und setzte mich auf einen Stuhl. Frau Rasman folgte mir, stellte den Teller auf den Tisch und setzte sich mir gegenüber. Erst als ich die Stille nicht mehr ertrug, zwang ich mich, meinen Blick zu heben und Frau Rasman anzusehen. Sie schob mir den Teller zu. Darauf befand sich ein großes Stück Marmorkuchen. Plötzlich stand sie auf, ging zum Kühlschrank und kam mit einer kleinen Schüssel zurück. Ohne Vorwarnung klatschte sie mir einen ordentlichen Schlag Sahne auf den Kuchen und dann lächelte sie mich an. Ich weinte vor Glück.