Silenzi
Giangiacomo DandreaGiangiacomo Dandrea
Ich wohne in Borgo Valsugana (TN) und besuche dort die fünfte Klasse des Naturwissenschaftlichen Gymnasiums „A. Degasperi“. Mein Traum ist es, Pilot zu werden, weil Fliegen meine große Leidenschaft ist, wie u. a. auch reisen, Orte und Menschen so kennen lernen, wie es bei organisierten Reisen nicht so gut möglich ist. Seit zehn Jahren bin ich Pfadfinder, dank dieser Gruppe habe ich gelernt, optimistisch zu denken und mich im Kleinen dafür einzusetzen, diesen Planeten zu verbessern. Auch wenn mich die Erfahrung gelehrt hat, dass sie nicht so einfach zu finden ist, glaube ich trotzdem an die wahre Liebe. PS: Ich habe auch viele Fehler, doch vier Zeilen würden dafür nicht ausreichen!
LE MOTIVAZIONI DELLA GIURIA
Die berühmte Aussage von Gustave Flaubert, „Madame Bovary c’est moi“, bedeutet unter anderem Folgendes: Dass Literatur vor allem eine Frage der Gesichtspunkte ist. In dieser Erzählung überzeugt die Originalität des Blickwinkels (der einer alten Parkbank) auf Anhieb. Durch diesen Blickwinkel gewinnen sonst absurde Gefühle an Wahrscheinlichkeit, wie der Neid eines einfachen, gefühllosen materiellen Gegenstandes auf das abwechslungsreiche Leben der Menschen. Doch es sind gerade die „leisen, altbekannten Stimmen“ der Gegenstände, die uns Halt geben. Ohne unser Wissen spielt sich ein reger und erlösender Dialog zwischen uns und den alltäglichen Dingen ab. Man muss nur zuhören können. Dies weiß nur allzu gut die Vorstellungskraft, welche – wenn sie sich, wie in diesem Fall, mit dem Schreiben verbindet – alle Ziele zu erreichen vermag.
IL RACCONTO
«Auch heute ist die Sonne aufgegangen. Ich nehme sie hinter mir wahr. Ich spüre
ihre warmen Strahlen, die mich spröde machen, mich abwettern, im Rücken, vor allem
mittags, wenn sie unerträglich werden und mich zum Glühen bringen.
Ich erinnere mich daran, wie ich noch funkelnagelneu war, glänzend und frisch
gestrichen… die Gemeindearbeiter hatten mich vor langer Zeit hier festgenagelt, zwischen
diesen beiden alten Bäumen, auf dem Hügel des Dorfes.
Das war mein erster Tag als Gemeindebank.
Es war auch der Tag, an dem ich die Sonne kennenlernte, die leuchtende, blendende
Sonne, die sich abends hinter den Bergen versteckte, in einem wunderschönen
Abendrot.
Aber an jenem Tag war es vor allen Dingen das erste Mal, dass sich jemand auf
mich setzte. Sie waren zu zweit, zu Fuß, sie schob ein Fahrrad. Schade, dass ich ihre
Gesichter nicht sehen konnte, doch sie kamen mir jung vor.
Die Art und Weise, wie sich ein Mensch hinsetzt, sagt viel über ihn aus. Er machte
einen lässigen Eindruck, mit seinem Rücken locker an die Bank gelehnt. Er legte einen
Arm um die Schultern des Mädchens, doch ich spürte, wie er mit einem Bein das Zittern,
das ihn durchlief, zu kaschieren versuchte. Sie schien etwas schüchterner zu sein,
zumindest verhielt sie sich so, mit den Händen im Schoß und den langen elegant übereinander
geschlagenen Beinen, die ein langer, leichter Rock bedeckte.
Sie flüsterten. Dann auf einmal, Stille.
Eine seltsame Stille, die sich von derjenigen der Nacht unterscheidet oder der des
Lagers, in dem ich lange Zeit gestanden habe.
Sie hielt ziemlich lange an, dann hörte ich noch ein paar Worte, einen leichten,
fast unterdrückten Seufzer. Einige Augenblicke später stand er, sie bei der Hand nehmend,
auf, sie stiegen beide auf das Fahrrad und fuhren davon, das helle Lachen des
Mädchens übertönte das Quietschen der Pedale.
Ich verstand nicht so recht, was geschehen war… aber vor allem, was war diese
Stille gewesen? Mir blieb jedoch nicht viel Zeit zum Nachdenken, da sich ein streunender
Hund, der mich da nagelneu stehen sah, entschloss, mir eine nette Erinnerung zu
hinterlassen...
Seitdem aber beobachte ich jede Person, die bei mir Halt macht und versuche, eine
Antwort auf meine Frage zu finden. In Gedanken versunkene ältere Menschen, einsame
junge Leute, Mütter, die ihre Kinder zum Spielen herbringen: Alle hatten ihre Momente
der Stille, jedoch nicht der bestimmten Art, die ich suchte.
Ich erlebte diesen Moment der Stille nur dann wieder, wenn ein Mann und eine
Frau sich hinsetzten und das Panorama, besonders bei Sonnenuntergang, betrachteten.
Im Laufe der Jahre änderten sich einige Dinge, sie kamen zu Fuß oder mit einem
laut knatternden Fahrzeug, das sie „Vespa” nannten, jemand drückte beim Reden
seine Zigarette auf mir aus, oder sie klebten einen unförmigen und klebrigen Kaugummi
auf mich, andere wiederum ritzten mit großer Genugtuung eigenartige Zeichen auf
meine Bretter.
Gerade gestern kamen zwei junge Leute, er trug lächerliche Hosen, die ein paar
Nummern zu groß waren, sie ein T-Shirt, das so kurz war, dass der braungebrannte
Bauch herausschaute. Sie lachten glücklich und von ganzem Herzen. Dem Mädchen fiel
ein komisches Spielzeug aus der Hand, das störende Laute von sich gab, sie nannte es
„Handy“, es schien, als sei sie völlig vernarrt darin...
Dann setzte sie sich auf die Knie des Jungen (ich weiß nicht warum, es gab doch
soviel freien Platz…), der das sofort ausnutzte, um sie zu kitzeln. Einen Augenblick
später war sie wieder da, diese Stille.
Sie ist das einzige, was alle Paare, die hier angehalten haben, in diesen vielen Jahren,
gemeinsam haben, das einzige, was die Menschen verbindet, sie verändert, ihnen
gut tut.
Wenn sie wieder zu reden anfangen, haben sie sich verändert, sind vollkommen
geworden. Es ist, als hätten sie es geschafft, etwas zu überwinden...
Ich kann nicht nach oben schauen und beobachten, was in diesem Moment passiert,
ich kann nur sagen, dass diese Stille einzigartig und typisch für die Menschheit
ist. Es muss etwas Wunderschönes sein… vielleicht werde ich es nie erfahren, bin ja
nichts als eine alte Parkbank.»
„Was für ein Schwachsinn, jetzt auch noch sprechende Bänke...“, brummte sie leise
und legte das Blatt auf eine Ablage, wo es zu einem langsamen Weg in die Vergessenheit
verdammt war, unter Stapeln anderer anonymer Seiten und allerlei Krimskrams.
Auf ihrem Schreibtisch, wie auf dem vieler Verleger, fand eine regelrechte Dezimierung
statt, ein kleines Jüngstes Gericht... hier sind die Auserwählten, die anderen, weg
damit, seht zu, dass sie verschwinden.
Niemand bemerkte es, es war ihr Beruf und außerdem war ihre Meinung unanfechtbar,
wenn sie einmal etwas beschlossen hatte, blieb es auch dabei.
Sie hatte ein ganzes Leben so verbracht, nie ihre Meinung geändert, nie einen
Rückzieher gemacht: nicht in der Schule, wo sie stundenlanges Lernen nicht scheute;
nicht bei den Leichtathletikwettkämpfen für Jugendliche, bei denen sie den Schmerz
im Knie nur durch ihre Willenskraft zum Schweigen brachte, weil sie entschlossen war,
die Strecke trotzdem zu Ende zu laufen; nicht an der Universität, wo sie mit einem Teilzeitjob
ihr Studium finanzierte; und zu guter Letzt auch nicht bei der Zeitung, für die
sie so viele Jahre geschrieben und so über den diese Sparte seit jeher prägenden Maskilismus
gesiegt hatte.
Ihre Entscheidungen hatten sie an die Spitze gebracht, ihr erlaubt, sich gehobenen
Hauptes zu bewegen, respektiert zu sein. Sie war die Herausgeberin einer der berühmtesten
Bücherreihen für Jugendliche und allerorts bekannt.
Ironie des Schicksals, sie hatte keine Kinder, war nie Mutter gewesen und schon
gar nicht verheiratet; das wäre sicherlich ein Hindernis für ihre Karriere gewesen, sie
hätte sich eine Auszeit nehmen müssen, um sich um die schreienden Bälge zu kümmern
und hätte so ein erfolgreiches Leben in den Sand gesetzt… Nein, sie hatte ihre
Wahl getroffen, und es war selbstverständlich die richtige.
Nun saß sie da und arbeitete sich mit ihren schönen grünen Augen durch Manuskripte
durch, die regelmäßig in der Ecke der „Verstoßenen“ landeten.
„Sie halten sich alle für Nobelpreisträger, es ist meine Aufgabe, sie auf den Boden
der Tatsachen zurück zu holen“, pflegte sie in Interviews zu sagen.
Nach ein paar Stunden machte ihr jedoch die Müdigkeit zu schaffen, jeden Tag
mehr… sie brauchte Luft, Sonne, deshalb beschloss sie, eine Pause zu machen und
zu ihrer alten Universität zu spazieren, die inmitten eines großen Parks, zwei Häuserblöcke
entfernt, lag. Dort angekommen, suchte sie nach einem Platz, um sich hinzusetzen
und auszuruhen; da sah sie eine dieser altmodischen Bänke hinter einem knotig
verwachsenen Baum hervorgucken. Sie vergewisserte sich, dass sie noch in gutem
Zustand war, lehnte sich anmutig zurück und blickte sich um.
Sie, eine Frau in schwarzem Kostüm, die alleine dasaß, unterschied sich deutlich
von den anderen Menschen um sie herum: Mütter mit Kinderwagen, ältere Leute, Paare,
die Hand in Hand spazierten… sie war sich dessen bewusst.
Ein Gefühl der übelkeit befiel sie, als ob sich etwas in ihrem Inneren verändere.
Während sie mit der Hand eine der Armlehnen der Bank umklammerte, kam eine
Erinnerung hoch, die sie längst verdrängt geglaubt hatte, es war wie eine Vision: Sie
war mehr als zwanzig Jahre jünger, aber sie hatte schon diese Entschlossenheit im
Blick, die vielen gefiel. Auch damals hatte sie auf einer Bank im gleichen Park gesessen,
nur war sie nicht allein, mit ihr zusammen war Andrea, der einzige Junge, den sie
kannte, der etwas Besonderes an sich hatte. Es war ein Tag im Frühling, alles war vollkommen.
Er hatte sich ihr genähert, um sie zu küssen, sie lächelte noch wegen etwas,
worüber sie vorher gescherzt hatten. Ihre Lippen waren sich so nah, sie hätte nur den
letzten Schritt machen müssen. Doch sie wand sich ab. Sie hatte es nicht geplant, es
hatte nicht sie entschieden, Andreas Geste passte nicht in ihre Pläne, deshalb war sie
zu vermeiden.
Das war der Moment, an dem sie endgültig den Weg einschlug, der sie einige Jahrzehnte
später in diese eiskalte Person verwandeln sollte, die sie nun war.
Die übelkeit war unerträglich, ein Teil von ihr, seit langem unterdrückt, wollte ausbrechen…
lange aufgestaute Tränen veränderten endlich diese undurchdringlichen
Gesichtszüge.
Sie hatte ihr Herz geopfert, um materielle Ziele zu erreichen, sie hatte immer für
ein Leben gekämpft, das sie im Grunde nicht wollte. Sie begriff, dass sie nicht unfehlbar
war, sie begriff, dass die Meinung zu wechseln und sich etwas anders zu überlegen
nicht Zeichen mangelnder Konsequenz sind, sondern eine Möglichkeit, neu geboren zu
werden.
Ihr fiel diese kurze Erzählung über die sprechende Parkbank ein: Sie war alleine,
weil sie auf jene süße Stille der Liebe verzichtet hatte, um für eine leere Stille Platz zu
schaffen, die ihres Herzens. Als sie den Grenzpunkt erreicht hatte, war sie angesichts
des Zaubers dieses Kontakts geflüchtet, sie war umgekehrt und hatte die rationale
Sicherheit ihrer eigenen Welt vorgezogen.
Wer weiß, ob die Bank, auf der sie saß, sie verstehen konnte… nur eine Stunde
vorher hätte sie schon beim Gedanken daran gelacht, doch jetzt, wo all Ihre Gewissheiten
zusammengebrochen waren, konnte es gut so sein.
„Ich habe einen Fehler gemacht“, gab sie mit gebrochener Stimme zu, „danke, dass
du mir die Augen geöffnet hast, ich muss in meinem Leben viele Dinge ändern und mir
Mühe geben. Ich gehe jetzt, ich muss eine Geschichte veröffentlichen, die ich unter
allerlei Schreibkram verloren habe.“ Sie fühlte sich besser, leichter als zuvor und ohne
sich um die verlaufene Schminke zu kümmern, entfernte sie sich mit raschen Schritten,
amüsiert darüber, dass sie begonnen hatte, Selbstgespräche zu führen wie einer dieser
wirren Landstreicher, denen sie immer aus dem Weg gegangen war.
„Gern geschehen, viel Glück“, flüsterte eine altbekannte Stimme, doch sie war schon zu weit, um sie zu hören.