Die Pomme nur mit Majo
Ulrike VentIL RACCONTO
Hallo, mein Name ist Majo und was mir in der letzten Zeit so passiert ist, muss ich euch einfach erzählen. Also, los geht’s! An meinem 14. Geburtstag, vor genau zwei Monaten, sagte mein Vater: „Majo, wir müssen reden!“. Sofort wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen war und mein Bauch begann zu kribbeln.
Er erzählte mir, wir würden zu Großmutter ziehen, weil er nicht mehr in Hamburg leben und sich mehr um seine Mutter kümmern wolle. Vati erklärte mir zwar alles ruhig und ich verstand seine Argumente, aber mein Herz raste wie wild. Ich war mega-sauer!
Seit meiner Geburt hatte ich mit Vati (und zwischendurch einigen seiner Freundinnen) in einer geräumigen, modernen Wohnung in der großen Stadt gelebt.
Jetzt sollte ich mit Sack und Pack zu Oma, zu Granny, gehen, die am wohl nördlichsten Punkt Deutschlands in einem kleinen Ort in einem kleinen, alten Häuschen lebt? Oh nein, ohne mich!
Nachdem ich meinen Vater beschimpft, mit meiner quietschenden Stimme angebrüllt und mich in meinem Zimmer verkrochen hatte, beruhigte ich mich und dachte darüber nach, welche Vorteile dieser Umzug haben könnte. Gut, ich musste meine Freundinnen verlassen, Robby, den süßen Jungen aus der Parallelklasse, dem ich so gerne hinterher sah, die tollen Geschäfte, die große Stadt... Aber dafür würde ich meine liebe Granny immer sehen, in der Natur leben und vor allem tun und lassen was ich will, denn Vater würde ja arbeiten und erst spät abends nach Hause kommen. Dieser Grund überzeugte mich, wie ihr sicher verstehen könnt, - ich war startklar!
Müde, erschöpft und mit dem Auto voll Koffern kamen wir bei Granny an. Sie hatte schon den ganzen Tag auf der Terrasse sitzend auf uns gewartet und war sichtlich erleichtert das wir gesund angekommen waren. „Hi Omi!“ rief ich ihr entgegen, während ich aus dem Auto sprang und direkt auf sie zu lief. Zugleich merkte ich, dass ich die neuen Badesachen umsonst gekauft hatte, denn der Wind umwehte mich und der graue Himmel sah nicht gerade nach Badespaß aus. Granny umarmte mich und sprach: „Maria Johanna, meine kleine, - nein, jetzt große Enkelin!“ Ich wollte ihr schnell sagen, dass mich alle Majo nennen, wegen den ersten zwei Buchstaben meiner Namen, aber was soll’s ihr wisst ja wie Großmütter sind.
Das Häuschen war wirklich winzig und schien bald auseinander zukrachen, trotzdem fühlten wir uns alle drei wohl, als wir am Abend am Kamin saßen und unsern Tee schlürften. Mein Vater bekam das große Zimmer hinter der Küche, Granny schlief im Zimmer neben dem Badezimmer und ich in einem wirklich kitschigen Zimmer auf dem Dachboden.
Omi hatte überall Bilder von spielenden Kindern oder Blumen und an den Fenstern hellblaue Vorhänge mit roten Maschen aufgehängt. Zuerst wäre ich fast umgefallen, aber als ich meine Poster von Brad Pitt und Robby Williams auf den Überboden geklebt hatte, wurde es richtig spitze in meinem neuen Zimmer.
Am nächsten Tag erwachte ich mit einem Schock – jetzt schon schickten die mich in die neue Schule. Bäh, wie sie alle schauen werden! „Das ist die Neue!“ , werden sie rufen, mir spukten die unmöglichsten Gedanken im Kopf herum. Zehn Minuten später stand ich vor einer wildfremden Klasse und hörte wie die Lehrerin über mich laberte und mich fragte, ob ich nicht selbst etwas sagen wolle. Ich räusperte mich kurz, denn mein Hals war vor Aufregung bestimmt trockener als eine Wüste.
„Hallo, ich bin Maria Johanna, aber alle nennen mich Majo.“, sagte ich schnell. Dieser Satz reichte schon, dass die ganze Klasse zu lachen begann. Ich stand vor ihnen und wurde feuerrot bis über die Ohren. „Was ist schon dabei einen ausgefallenen Spitznahmen zu haben?“, überlegte ich und dachte mir „Bauernlümmel - wir in der Stadt haben nun mal ausgefallene Namen!
Wenigstens heiße ich nicht Klothilde oder Fridolin!“ Während sie weiterlachten hatte ich genügend Zeit mir alle anzugucken und stellte fest, dass fast alle „normal“ ausguckten, eben so wie wir in Hamburg. Die Betonung liegt auf „fast“ alle. Ein Girl viel mir sofort auf, weil sie dunkelblonde, lockige Haare bis zum Po hatte und die grünsten Augen, die ich je gesehen hatte.
Beim Wechsel der Lehrer zwischen den Stunden, war Sophie, so hieß sie, wieder aufgefallen. Sie war total beliebt in der Klasse und kam mit ihren coolen Sprüchen unglaublich an. Alle wollten mit ihr plaudern, waren happy falls sie ihnen zulächelten. „Scheint ja ne echte, Bauernlümmel-Prinzessin’ zu sein“, dachte ich und grinste zufrieden über meinen eigenen Witz, was eigentlich schon wieder traurig war.
Die restlichen Stunden saß ich stumm auf meinem Stuhl und fühlte mich „kotz-übel“ in meiner Rolle als „Neue“. Endlich klingelte die Glocke und ich drängelte mich mit den Anderen aus dem furchtbaren Gebäude.
Während ich auf dem Nachhauseweg die grünen Wiesen durchstapfte und das Meer große Wellen Richtung Strand schleuderte, wusste ich, dass das Boot in Omas Schuppen nicht mehr lange sicher vor mir war. Statt der neuen Schulbücher, packte ich Putzmittel und brachte das Boot auf Hochglanz.
Dann schleppte ich es zum Strand und genoss es, den Nachmittag mit Lesen in dem gemütlichen Schiffchen zu verbringen. Es war herrlich! Der Wind wehte nur mehr leicht und das rudern lernte ich bald. Granny hatte zwar Riesenangst, aber he, man ist nur einmal jung und mit dem Meer werde ich schon fertig! Die gesamten Nachmittage verbrachte ich seitdem auf dem Wasser, machte dort Hausaufgaben, traf Touristen oder Schriftsteller, die hier waren, um ihre „Phantasie zu beflügeln“, wie mir einer von ihnen erzählte.
Sonst war ich umgeben von Stille und Einsamkeit, was voll super war. Manchmal, meistens an Sonntagen kam Paps mit und bewunderte meine Schnelligkeit beim Rudern, ich gab mächtig an und verschwieg ihm meine Muskelkater an beiden Oberarmen.
Eines Tages auf dem Weg zum Metzger stach mir ein Plakat ins Auge, das an der Eingangstür des Geschäftes hing, und ich las von einem Bootswettbewerb. „Boh, echt spannend!“, dachte ich höhnisch, aber dann las ich, welchen Preis der Gewinner erhielt: Ein Hundewelpen. Schon war ich dabei! Ich meldete mich offiziell an und wollte nur mehr Eines: gewinnen! Schnell lief ich zum Boot, um zu sehen, ob es überhaupt im Stande ist zu siegen, denn es war ja schon alt und abgenutzt.
Aber es war OK. Ich schaute auf das Meer hinaus und träumte den Wellen hinterher. Plötzlich hörte ich ein Stimme hinter mir: „Ich werde gewinnen. Ich will den Hund. Und du hau ab von unserem Meer!“ Ich erkannte sie sofort und als ich mich umdrehte stand sie wirklich da: Berta Nolli. „Die ist ja plemm-plemm“, dachte ich, aber sagte nur: „Du willst mich wohl verscheißern!?“ Ich schaute sie nicht mehr an, sondern blickte wieder in Richtung Meer und hörte sie sagen: „Du gehörst nicht zu uns, also darfst du auch nicht mitmachen... und wenn ich dich am Tag des Wettkampfs über euern Gartenzaun steigen und hier kommen sehe, dann kannst du was erleben!“ Mit diesen Worten verschwand sie, während ich noch stumm dastand.
Die Tage vergingen und ich wurde immer trauriger. Ich redete mit Niemanden mehr, “schluckte alles hinunter“ und verbrachte die Zeit in meinem Zimmer. Heute war der Tag des Wettbewerbs, um drei Uhr sollte er beginnen. Ich wollte so gern mitmachen, aber ich gehöre ja nicht dazu, Berta hat recht. „Tock, tock!“ Granny klopfte an die Zimmertür und öffnete sie gleichzeitig. „Maria Johanna, was ist denn los mit dir?“ Ich antwortete, dass nichts sei, doch sie ließ nicht locker. Ich erzählte ihr vom Bootswettbewerb und dass mir Berta nicht erlaubt hatte über den Zaun zu steigen und zum Wettkampf zu kommen.
Da sagte Omi, Berta hätte mich wahrscheinlich mit dem Boot fahren sehen und hätte deshalb Angst zu verlieren und nicht weil ich nicht hier her gehörte. Und zum Schluss sagte sie das wohl Klügste, das ich je gehört hatte: „Kleines, wenn dir jemand eine Grenze setzt, dann ist nicht der Zaun das Problem. Das Problem ist die Grenze, das Hindernis oder die Angst, die in deinem Kopf entstehen.“
Mit neuem Mut ging ich zusammen mit Granny zum Wettbewerb und nahm daran teil.
Ich gewann nicht, Berta auch nicht und wir trauerten lange dem süßen Welpen hinterher, der jetzt einem kleinen Jungen gehörte. An diesem Tag lernte ich Berta Nolli besser kennen, weil wir lange miteinander plauderten. Inzwischen sind wir gute Freundinnen geworden und sitzen sogar in der Schule nebeneinander.
So geht’s einem im Leben! Nun entschuldigt mich bitte, ich geh mit meiner besten Freundin Pommes essen. Ach ja, wisst ihr was lustig ist? Immer wenn der Verkäufer Berta fragt: „Mit Ketch up?“, dann antwortet sie: „Nein, die Pommes ess’ ich nur mit Majo!“