Ich habe nie auf Deutsch geträumt
Katharine Howlett-JonesKatharine Howlett-Jones
Kate Howlett-Jones ist Schriftstellerin und Text-Künstlerin und lebt in Graz (Österreich). Ihre Arbeit besteht aus einem Dialog zwischen Schrift und räumlicher Installation, Sprache und Text sind die verwendeten Materialien.
Sie hat Französische und Russische Literatur an der Universität Oxford und kreatives Schreiben an der britischen Open University studiert und ist als Übersetzerin tätig, vor allem in den Bereichen Kunst-, Architektur- und Designkritik. Zu ihren jüngsten Projekten zählen Arbeiten, die Text und Installationen im öffentlichen Raum in Graz, Sarajewo und Triest (Wind Rose) verbinden und Stories from the Edge, eine Untersuchung über die Themen der Hypo- und Hyperidentität im Golf von Triest zwischen Italien, Slowenien und Kroatien (Auszeichnung des Landes Steiermark).
Sie hat 2013 The Daily Rhythms Collective mitgegründet, eine Gruppe von vier in Graz ansässigen Künstlerinnen, die die urbane Inklusion mittels künstlerischer Methoden und einer sensiblen Kartographie untersuchen und unterstützen. Das Kollektiv teilt sich ein Atelier und arbeitet oft in Hinblick auf Ausstellungen, Forschungsprojekte und Veranstaltungen zusammen, welche das Miteinander und das gegenseitige Verständnis fördern möchten.
Statement der Künstlerin: als Schriftstellerin nehme ich den Raum und verwandle ihn in Text; als Text-Künstlerin beginne ich mit meinem Text als Materie, die sich erweitert und mit dem Raum interagiert. Mich interessiert die komplexe Beziehung zur Sprache: Wie formen wir sie, und wie formt sie uns? Auch in Bezug auf die Geschichten, die wir erzählen: Wo enden die Fakten und wo beginnt die Fiktion?
IL RACCONTO
Es war einmal, und es war kein Mal. Ein Seemann lebte im Exil in einer Stadt weit weg von zu Hause, weit weg vom Meer. Um in seine neue Stadt zu kommen, überquerte er Berge, Hügel und Land, und kam schließlich in einem kleinen Talbecken an, weit weg vom Meer. Seine alte Stadt hatte einen Hafen, erfüllt von den Schreien der Möwen und Arbeiter. Seine neue Stadt hatte eine ordentliche Mülltrennung und viele Fahrradwege und war sehr still. Das gefiel dem Seemann sehr gut, weil er ein ordnungsliebender Mann war und den geschäftigen Kai mit seinen unordentlichen Gerüchen und Geräuschen nie gemocht hatte.
Während seines ersten Winters im Exil durchwanderte der Seemann die Straßen und Gassen seiner neuen Stadt auf der Suche nach ihrer Sprache. Sein neuer Ort bot eine Landschaft aus Worten, in der man sich leicht verlor. Er wanderte zwischen den Straßen und Gassen seiner neuen Sprache umher und wollte häufig links abbiegen, wo es (nur) rechts abging, oder fand sich in einer Sackgasse wieder, wenn er sicher gewesen war, dass er einer klugen Abkürzung folgte. Achtung Stopp Falsch, sagte ihm die neue Stadt. Achtung Feuerwehrzufahrt. Achtung, Dachlawinen. Es schien, als konnte er nicht seinen eigenen Weg in die Struktur der neuen Sprache finden. Überall die perfekte Verbindung, versprach die Stadt, aber das war nicht das, was der Seemann fühlte.
Gründlich wie er war, entschied er, es sei wohl das Beste, ein Verzeichnis über die geschriebenen Worte dieser Stadt anzulegen, sodass er sich nicht länger in ihnen verirren würde. Er kaufte ein Notizbuch und schrieb darin sorgfältig alle Worte der Stadt nieder und jeden Abend setzte er sich hin, aufrecht an seinen Tisch so wie der gute Schüler, der er immer gewesen war, um diese zu lernen.
Achtung, sagte er zu sich selbst. Die Stadt meines Lebens. Momente, die für immer bleiben. Glänzender geschmeidiger spürbar zarter und vor Kalkablagerungen
geschützt. Er lernte den Imperativ, er lernte den Dativ. Erklär mir das Feinstaub-Ticket!, bat der arme Seemann.
Aber später, wenn er im Bett lag, sah er immer die schrecklich einsame Landschaft der Worte, die er nicht erreichen konnte. Als er in den Schlaf sank, wollte er nach einem Weg suchen, der ihn im Traum in diese neue Stadt brachte. Die Stadt meines Lebens, murmelte er. Schauet das Paradies. Wir singen die Zukunft. Erklär mir das Feinstaub-Ticket. Bitte.
Am Morgen, als er aufwachte, und der Tag sich durch die Spalten der Rollläden schob, konnte er manchmal nicht sagen, ob es das Licht war, das sich leise änderte oder ob es seine Augen waren, die ihr Blickfeld verschoben, auf der Suche nach einem Muster oder einer Erkenntnis im Spiel des Lichts. Die ersten paar Sekunden waren nur Licht und Schatten, bevor er verstand, dass er wo anders war, und den Faden seines Lebens und seiner Gedanken aufnehmen und weitermachen sollte, auch wenn sich nun dieser Faden quer über Landschaften und Meere spannte und sich manchmal so anfühlte, als müsste er gewiss reißen.
Eines Nachts nahm er verzweifelt sein Verzeichnis zu sich ins Bett und hielt es an seine Brust, als ob die Worte irgendwie durch seinen Schlafanzug hindurch in sein Herz sickern könnten. Er umklammerte es so fest wie er konnte und fühlte die harten Ecken an seiner Haut. Nach einer Weile bemerkte er allerdings, dass er das Notizbuch so fest an seine Brust gehalten hatte, dass es sich zu einem weichen Stück Stoff aufgelöst hatte, und wo die Worte gewesen waren, war stattdessen ein verworrener Haufen Stoff und Fäden, beinahe unleserlich.
Er streckte die Hand aus und ruckte sanft an einem heraushängenden Faden, in der Hoffnung, wieder alles nett und ordentlich zu machen. Aber die Fäden quollen
zu ihm heraus wie das Farbband aus einer Schreibmaschine, und je mehr er zog, umso riesiger war das Gewirr von Fäden und Worten und losen Enden, die heraus schwappten, und je mehr er versuchte, sie zurückzuschieben, umso mehr fielen sie auf ihn herab, bis er bis zu den Knien in ihrem Wellenberg stand. Lass es knistern, säuselten die Gedanken. Glänzender geschmeidiger spürbar zarter und vor Kalkablagerungen geschützt. Und zuletzt fühlte er das angenehm sanfte Fließen der Buchstaben zwischen seinen Zehen und hörte ihre leise Musik in seinem Traum.
Glänzender geschmeidiger zarter, flüsterten sie. Wir singen die Zukunft.