Volfsvieh
Robert ProsserRobert Prosser
*1983 im Tiroler Alpmassiv, Komparatistikstudium, Graffitivergangenheit, längere Aufenthalte in Asien und in der arabischen Welt. Mitveranstalter der Innsbrucker Lesebühne "Text ohne Reiter", musikalische Arbeit im Bereich Experimental-HipHop, im Textvortrag performanceorientiert. Veröffentlichungen: STROM (Klever 2009), FEUERWERK (Klever 2011). Einige Auszeichnungen, ua Österreichisches Staatsstipendium für Literatur 2010/2011, Literaturpreis Floriana 2010. www.robertprosser.at
BegrÜndung der Jury
Der Text "Wolfsvieh" spielt in einer Hütte, irgendwo, in einem Wald, im Gebirge, an einem abgelegenen Ort, man ahnt es nur, denn alles spielt sich in der Hütte ab, auf engstem Raum. Ein Mann ist in der Hütte, ein trinkender Mann. Es geht um Alkohol? Ja, entschieden. Und mit in der Hütte sind ein Kind und eine Frau. Also eine Familiengeschichte? Auch, ja, irgendwie. Und es geht um Krieg. Der Krieg ist vorbei, die kleine Familie hat in dieser Hütte am Ende der Welt Zuflucht gefunden. Der Alkohol ist der Brennstoff, der diese Geschichte vorantreibt, auch sprachlich, taumelnd, lallend wird die ewige Geschichte von Mann und Frau und Kind, von Krieg und Frieden, von Rausch und Wahrhaftigkeit erzählt
IL RACCONTO
(Anm. des Autors: Verbrachte 2008 einige Zeit in Armenien, und bin dort auf folgende Geschichte gestoßen: im Zuge von Landschaftsvermessungen, um zukünftig zur Tourismusförderung Wanderwege und Schigebiete anzulegen, wurde in einer Berggegend, die als menschenleer galt, eine Siedlung entdeckt, deren Bewohner niemand kannte, und die über keine offizielle Identität verfügten. Erst später stellte sich heraus, dass es sich um ehemalige Milizsoldaten handelte, die nach dem Krieg in Nagorno-Karabach Mitte der 1990er Jahre mitsamt ihren Familien nach Norden geflohen sich in jener Wildnis des Kaukasus angesiedelt hatten, in der es den Wodkalegenden zufolge Wölfe mit rotem Fell gibt. Davon ausgehend nun folgendes Szenario:)
Sitzt betrunken am Tisch und könntest deiner Tochter vom Draußen erzählen, wie schimmernd und wild es ist und voller Lärm, Stille, kannst ihr das Gespür hinterlassen für Fährten und wie sehr Instinkt in den Schnaps treibt, das könntest du ihr erzählen, probier doch mal, ihr verständlich zu machen, wie dein Suff in seltsamen Verstecken endet, willst ihr unbedingt ein guter Vater sein, rufst sie mit Kosenamen, die sie wegen des verzögernden, triefenden Sprechens nicht verstehen kann, sodass sie Angst hat vor deiner langsamen Sprache, die dir von schnapsschwammiger Zunge tropft und stinkt. Möchtest sie streicheln, ihr durchs Haar fahren, du siehst sie, nimmst sie noch wahr, und hast dann tatsächlich Zärtlichkeit übrig, weil all das rekrutierte Männergehabe endlich abgefallen ist und du dir glücklich eine Zigarette anrauchen kannst. Willst ihr erzählen, wie gern du sie hast, das du stolz auf sie bist, und die Zigarette fällt immer wieder auf den Boden, du bückst dich danach und kippst fast vom Stuhl. Aber hinterlass ihr doch ein bisschen was von deinem Wissen über Lebenslust, wie man trotz Kasernen, Krieg und Heimatlosigkeit am Leben bleibt, weiter macht, warum man immer wieder von Neuem beginnt, und nicht im Wald verschollen bleibt, dabei wäre genau das eine Leichtigkeit. Sprich von Geschmack, Duft, von Zärtlichkeit, erzähl von ihrer Mutter, von Betrügen und Gott, von Ziegenböcken, und wenn du dich vor ihr zerlegt hast, ihr noch erklärst, was Flügelknochen, Tierherzen und die Stimmen im feuchten Moos bedeuten können, dann hast du bereits mehr von dir ausgeschüttet als du jemals gesoffen hast, bist dann ein Gischtpunkt im Bach, in deiner Haut fixiert, und du rauscht mit deiner Sprache direkt daraus hervor. Mit dieser Sprache sitzt du vor ihr, lallst, weinst, weil du sie so gern hast, drückst sie an dich und sie hält den Atem an, während du ihr deine Weisheiten und Einsichten weitergeben möchtest. Alles liegt vor dir ausgebreitet, verstehst in dieser Schnapslogik jede Einzelheit, du bist dieses Gesöff, sabberst ihr ins Haar, und sprichst mit der Stimme dessen, der flüssig geworden Dinge überwindet, runterspült und runterschluckt. Sprichst laut, fast hysterisch, und doch mit einer Ruhe, die auch weitere 100 Gramm im Glas bewahrt, sagst ihr, wie lieb du sie hast, dass dein Wissen um ein geplündert, gebrandschatztes Leben mit all seinen wunderschönen, seltsamen, widersinnigen Einzelheiten in ihr münden, dass du ihr das mitgeben, hinterlassen möchtest, und vielleicht hat auch sie diese Sehnsucht nach einer bestimmten Art von Musik in sich, ja das kann sein, sagst du ihr noch, ziehst an der Zigarette, während Siran zur Tür herein kommt, das verwunderte geängstigte Kind von deinem Schoß nimmt, du lächelst ihr nach, winkst ihr zu, wie sie sich an der Tür nochmals umdreht, und gleichfalls zögernd die Hand hebt, fragend zu ihrer Mutter schaut, und du hast dann bereits ein neues Glas im Visier und fängst zum Singen an.
Nachts, wenn die Wölfe kommen, mit rotem Fell durch diese wunderschön sinnlose Zeit streifen, in welcher du genug Vergangenheit beschworen hast, die Kerze löschen willst, du: mit Schnapsaugen, klein wie die eines Neugeborenen, zugleich blutig mit dem starren Blick eines gerade geprügelten Hundes in Rauch und Dunkel stierend, dann ist es unsichtbar die Hand, die dir gerade in die Brust greift, unsichtbar doch ohne Scheu greift dir diese Hand gerade eben durch die Haut, wühlt unsichtbar und gräbt dir jetzt im Innern, fühlst dich in festem Griff durchgraben von einer Hand, unsichtbar dir aus Rascheln Wind und Krächzen entstanden. Unerhört, wie es rumort und werkt, etwas aus dir holen möchte, daraus hervor Trieb verlangt, dieser wird hin und her gespiegelt, aufgeladen, aufgewiegelt, rumgestossen und eingezwängt das alles nur wegen einer Hand, die unsichtbar unverschämt in dich drängt, weil der Schnaps Mund mit Rachen mit Bauch verbindet, da es flüssig Kreise schließt: ein Rund mit Lachen mit Rauch, ziehst an der Zigarette, genießt diese raue Wärme, die weiter nach unten dringt, dich erdet, dir Schwere gibt und Gegenwart, wo in leeren Räumen Süchte Winden Sturm erlauben, wo in leeren Räumen Winde Sturm erzeugend Süchte sind. Machst dich gemeinhin sorgfältig, mit Kalkül ans Werk: bist gutgelaunt, freust dich aufs Trinken, schickst deine Frau zu Bett und holst den Rekorder hervor, die Kassette wird noch einmal durchhalten, hoffst du, und die Aufnahmen klingen dann zwar anfangs verzerrt, fangen sich nach einigem Rumeiern aber wieder, und aufgeregt, zu allen Gedanken bereit sitzt du da, spulst vor, zurück, spülst gleichsam Kehle und Magen aus, tätschelst die Ziege, die du mitgenommen hast, weil sie dir von allen am zutraulichsten erscheint, hast sogar etwas Heu und trockenes Brot bereitgelegt, dass sie neben dir frisst, und du streichelst sie manchmal, fährst ihr durchs struppige Fell, du singst, trommelst der Ziege den Takt auf den Rücken, sie kaut, zermalmt schmatzend das harte Brot, knirscht und knabbert vor sich hin, während du dir Lust braust, kratzend an Erlebnissen Poesie freilegst. Gelangst in eine Stimmung, in der du jedes Lazarett in eine Saufhölle verwandeln könntest, sitzt mit diesem Stimmenbündel aus Ziegenlaut, eiernder Musik, Hundejaulen, deinem Singen nur fatalerweise abgeschottet in einem Tal, aber was soll's, für was wird man alt, wenn nicht, um diese Art von Alleinsein schätzen zu lernen, und in dieser einzigartig vereinsamten Laune stürzt du dich in diesen Rausch, lässt alle Bedenken unbedeutend nichtig sein.
Rollt Alkohol im Magen brennend Zunge, tastet heiß sich ans Innere, so ist es ein gleitendes Öffnen von Blättern, die ihre zuvor versteckte Hitze tief drinnen im Leib geschmeidig einem gläsernen Ufer entreißen. Ein paar Schluck bloß, schon hast du im Bauch das sich ausbreitende Feuer, und wie nun Blüten wachsen, sprießen, ein Laut und Grollen hitzig durch die Därme rauschend das Herz sich sucht, nach oben steigt, aus deinem Schwanz sich speist, bis es in Augen flackert, brennt der Körper mehr noch als euer selbstgemachter Schnaps. Doch dauert dieses Suffstadium nie allzu lang, vielmehr verlangt es dich allein deshalb danach, ums Händezittern los zu werden, im Augenflackern zu übersehen, wie aus all dem Rinnen, Denken, Suchen, als Destillat Erzählung tropft, und lallend, stumpf dann da zu sitzen, für nichts und wieder nichts aufgestachelt, kampfbereit. Eine Kerze brennt und du lehnst dich vor, um ganz in diesem Schein zu bleiben, ein Schutzwall flackernden Umrisses, der Hütte abgetrotzt. In diesem Moment spätnachts, wenn du der Flamme ein Gesicht aus halbem Schatten bist, fragst du die Wände rußig um dir, wo denn nun die Bedeutung des Trinkens für dein Leben liegt, entdeckst Ähnlichkeit zwischen deinem Durst und dem Drang nach Draußen, als müsstest du dir möglichst viel verinnerlichen, damit die Hitze im Magen spürbar möglich wird. Vielleicht folgt man dem Bach nur als junger Mann weiter hinaus, sucht dessen endgültigen Weg, als alter Veteran dagegen bleibt man hier und beschließt, ihn auszusaufen wie auch immer das Tal zu formen, und sei es nur, das mit Karten die Quelle verspielt oder im Glas in der Hand ein Feuer sichtbar wird: altersweise werdet ihr dadurch, dass ihr erkennt, wie aus dieser Verwurzelung auch der Wald sich Haus baut, ein wild wachsend Sammelsurium aus Holz und Gischt, und pass auf, gib Acht, da dir gerade jetzt ein Schrat den Alpdruck verstärkt, Fels, ganze Steinballungen dir ungeniert auf den Kopf stapelt, bis du unter Traumladungen einbrichst, ihm zur Trophäe wirst. Bevor es soweit kommt, dass vor lauter fehlender Hitze plötzlich nur im Kopf was rollt, weil aus dem Kerzenlicht dir eine andre Wahrheit in die offene Hand tropft, ja bevor es soweit ist, dass darin versäumte Möglichkeiten wachsen, drehst du dich um, drehst dich halb zur Seite und schaust auf das Bett am gegenüberliegenden Zimmerende, ein Schimmer der Laken und darin ihr Atem, und wie dieser dir kaum hörbar ein Gefühl für Zeit und Jetzt vermittelt. Einzig auf dieses Geräusch konzentriert spinnt dir im Rücken Kerzenlicht weiter nüchtern Träume, du weißt um den Körper dort ein paar Schritte entfernt, kennst diese schweigsame Frau, und wie du merkst, dass ihr Atem nunmehr so weit wie Schlaf schon schwingt, traust du dich fast nicht, dich unnötig zu bewegen, willst sie nicht ins Aufwachen verjagen, es bleibt bei diesem unsäglich schlechtem Magen, während sie sich dreht, plötzlich laut, schwer Atem ein Grollen verleiht, doch dann wieder zurück in ihre Stille findet, am äußersten Rand des Kerzenlichts einmal Leben noch hörbar macht, in den Nischen, Spalten und Astlöchern eurer Hütte, wo im Ruß das Vergessen Zeichen, die Schuld bedeuten könnten, hinterlässt, gäbe es denn dort eine Sprache, die ihr versteht, die am Grund des Schnapsbrennens und dieses jetzigen Scheins liegt, und dort knarrt, verrät. Bleibst so lange sitzen, bis sich dir eine Offenbarung vereitelt, hörst auf zu horchen, in dieser wunderschön sinnlosen Zeit, wenn kein besonderer Einfall oder ein Ausweg mehr kommen wird, aber scher dich nicht darum, blas die Flamme aus, riech noch schnell am Rauch, und wie du unter die Decke kriechst, ihren Körper suchst und dessen Wärme, fällt dir ein, dass du ihr nie gesagt hast, sie wäre hier zuhause.